Annas Geheimnis. Eine Prinzenraubgeschichte.
Kinderbuch. Chemnitzer Verlag 2003.
Illustrationen: Siegfried Otto-Hüttengrund. ISBN 3-928678-90-6.
(Auszug)

1. Kapitel: Barthels Geheimnis. Die fuchsrote Anna.

Das Versteck ist leer. Barthel wuchtet den Steintrog noch ein Stück beiseite. Legt sich auf den Bauch, tastet. Nur Schmutz und Spinnweben. Ungläubig starrt er ins Dunkel der Nische. Der Bogen, die Pfeile, das Messer - alles weg. Er irrt sich nicht - dies ist die Stelle, es gibt nur diesen einen Eisenring im Mauerwerk, den, unter dem der Trog steht. Barthel will es nicht glauben. Seit er zwölf ist, seit drei Jahren, benutzt er dies Versteck hinter dem Steintrog, unter dem Ring. Durch Zufall hat er damals im Küchengarten den Zugang zu diesem winzigen dusteren Gewölbe entdeckt. Einer steinernen Kammer, die nur erhellt wird vom spärlichen Licht, das durch den türlosen Einstieg und durch die Röhre einer ausgedienten Pechnase fällt. Außer Barthel benutzt nur der alte Trabant Asmus diesen Ort. Der macht hier bei seinen Wächterrunden Halt, verschnauft, wärmt die alten Knochen mit einem Schluck aus dem Weinschlauch. Der ahnt bestimmt nichts von Barthels Geheimnis. Barthel starrt auf die Wand.
Zwei raue Mädchenhände. Es können nur Mädchenhände sein, die sich von hinterrücks auf seine Augen gelegt haben.
"Anna?"
Ein kleines glucksendes Lachen, ein bisschen spöttisch.
Er spürt unterhalb der Schulterblätter den Druck ihres kleinen Busens. Anna, die Enkeltochter des alten Asmus, die fuchsrote Anna. Wenn die Sonne darauf scheint, leuchtet ihr Haar wie die wehenden Seidenbanner, die in der Schlacht voran getragen werden. Keine weit und breit hat solches Haar....

8. Nächtlicher Raub. Flucht. Rauschend volle Höflinge.

.... Eine Stunde vor Mitternacht. Die Leiter hat sich gestrafft, schon ist auf den Sprossen der dunkle Umriss des ersten Verschwörers zu erahnen. Schwer hebt sich der Mann über die Fensterbrüstung, mit Panzerhemd, Sturmhaube, geschulterter Armbrust. An der hohen Gestalt erkennt Barthel den Junker Kunz, ihm folgen noch neun andere Bewaffnete. Sie bewegen sich trotz ihrer Ausrüstung gewandt, leise, dunklen Raubtieren gleich. Barthel lehnt neben dem Fenster, bewundert die Geschicklichkeit der Männer, und er gelobt sich, bald so zu sein wie sie.
Sie aber beachten ihn nicht, entzünden an einer Blendlaterne mehrere andere, hier und da fällt ein halblautes Wort. Barthel vernimmt ihm unbekannte Namen: Schönfeld, Mosen, Rußwurm... Werkzeug klirrt leise, wie sie sich jetzt zielsicher in Bewegung setzen. Barthel folgt in einigem Abstand durch den Gang, treppab.
Das Schlafzimmer der Prinzen liegt in einem unteren Stockwerk. Die Tür ist abgesperrt....