Hexen müssen brennen. Geschichten vom Hexenwahn in Sachsen.
Chemnitzer Verlag 2000. ISBN 3-928678-61-2.
Hexenflug (Auszug)
In einer Stunde ist Mitternacht. Es ist Walpurgis, die Nacht zum 1. Mai 1668, Neumond.
Drei Männer stehen am Kreuzweg. Sie starren gebannt in die Schwärze des wolkenverhangenen
Himmels in Richtung Mocherwitz. Manchmal wird die Stille durch den Flügelschlag eines
Käuzchens unterbrochen. Schulmeister Andreas Vogel aus Priester, sein Nachbar Georg Behr
und der Dorfhirte warten mit Bangen und Neugier auf die Hexenweiber, die in dieser Nacht
gewiss gerade hier über sie hinwegfliegen werden. Bald halten sie ihr "Gefrässe" und
werden nackt auf dem Feld mit dem "bösen Pobans" tanzen. Und buhlen, die Teufelshuren.
Von hinten nimmt er sie, der Leibhaftige. Sie treiben's wie das liebe Vieh.
Der Schulmeister nimmt einen kräftigen Schluck aus dem Tonkrug und reicht ihn weiter. Sie
trinken sich Mut an für ihre schwierige und gefährliche Aufgabe. Alle drei haben sich die
Hüte mit Holunderzweigen umwunden und tragen noch jeder eine ordentlichen Holunderstecken
als zusätzlichen Schutz bei sich.
Der Eilenburger Amtmann Zschau hat sie auf ihren gefährlichen Beobachtungsposten
geschickt. Er hat dem Schulmeister empfohlen, sich mit zwei beherzten Männern auf den
Kreuzweg zu stellen, um die Hexe zu erkennen, die seine Frau und seine Milchkuh zu Tode
gehext hat.
Für Andreas Vogel gibt es seit langem nur eine Verdächtige: Elisabeth Bräutigam.
Sie stammt aus dem "Hexendorf" Mocherwitz. Ein Weib wie die Sünde.
Nicht weit vom Kreuzweg entfernt befindet sich Georg Bräutigams Anwesen. Doch die Nacht ist
so dunkel, dass die Männer nicht einmal die Konturen des Bauernguts erkennen können.
Dort wird sich das Weib jetzt wohl salben für den Flug, wird sich den nackten Leib einreiben
mit teuflischer Schmiere. Erneut macht der Krug die Runde gegen die lastende Stille.
Es muss kurz vor Mitternacht sein, als plötzlich ein Brausen die Luft erfüllt. Ein Meckern
ist zu hören. Eine Schar Bekassinen streicht durch die Lüfte und kehrt in ihr Brutgebiet
zurück - die Feuchtgebiete um Mocherwitz und Krostitz.
Die Männer zucken zusammen, ducken sich. Stoßen einander mit ihren Holunderstecken.
Dem Lehrer wird der Hut vom Kopf gerissen.
'Als es nun zwischen 11 und 12 gewesen ist, so waren in der Luft von Mocherwitz her ein
Schwarm (Hexen) geflogen kommen mit Prausen und hatte den Schulmeister am Kopf gestreift,
dass der Huth weit geflogen war.', berichten am anderen Tag der Hirte und Georg Behr über ihr
nächtliches Erlebnis am Kreuzweg.
Frau Bräutigam, die auch von der Geschichte hört, fragt neugierig die Schulkinder nach dem
Befinden des Schulmeisters. Was er mache. Ob ihm der Kopf schmerze. Ob er darnieder liege.
Nein, er sitze auf seinem Stuhl und schreibe einen Brief, erfährt sie. ...