Vortrag - gehalten am 16. April 2005 in Hartenstein


(Alle Rechte bei der Autorin)

Der sächsische Prinzenraub - ein historisches Jubiläum und eine Geschichte um Macht und Recht


Landfriedensbrecher oder Selbsthelfer, Täter oder Opfer?

In der Nacht vom 7. zum 8. Juli dieses Jahres (nach unserem heutigen Kalender eigentlich erst in der Nacht vom 19. zum 20. Juli) jährt sich zum 550. Mal eines der spektakulärsten Ereignisse der älteren sächsischen Geschichte: die Entführung der Prinzen Ernst und Albrecht aus dem Residenzschloss zu Altenburg durch Junker Kunz von Kauffungen.

Der jahrelange Rechtsstreit des Kunz von Kauffungen mit dem sächsischen Kurfürsten Friedrich II. gipfelte im Sommer 1455 darin, dass der Kauffunger zur Selbsthilfe griff. Er organisierte eine Adelsverschwörung, befehdete den sächsischen Kurfürsten und entführte dessen Söhne, den 12-jährigen Prinzen Albrecht und den 14-jährigen Prinzen Ernst.
Die Pläne der Kindesentführer scheiterten. Bereits am Nachmittag des 8. Juli 1455 wurden Junker Kunz von Kauffungen und seine sechs Begleiter in der Nähe von Grünhain im Erzgebirge - schon nahe der rettendenden böhmischen Grenze - gefangen genommen und Prinz Albrecht befreit.
Die Mitverschworenen von Mosen und von Schönfeld verbargen sich mit Prinz Ernst und ihren beiden Knechten mehrere Tage lang in einem alten Eisenstollen nahe der Burg Stein - der heutigen "Prinzenhöhle" - und übergaben am 11. Juli auf dem Hartensteiner Schloss gegen Zusage freien Geleits den Kurprinz an Friedrich von Schönburg. Anschließend flüchteten sie nach Böhmen.
Kunz von Kauffungen wurde nach Freiberg überstellt, weil das dortige Stadtgericht das Vorrecht besaß, im Fällen von Vergehen gegen den Landesherrn ohne Einholung von Rechtsgutachten sofort urteilen zu dürfen.
Nur sechs Tage nach der Tat wurde er am Montag, dem 14. Juli 1455 auf dem Obermarkt zu Freiberg mit dem Schwert hingerichtet.

Der Küchenknecht Hans Schwalbe, der Kunz von Kauffungen bei der Planung und Ausführung der Tat geholfen hatte, wurde am 28. Juli in Zwickau mit glühenden Zangen gezwickt und danach gevierteilt; Kunzens Reisiger Jorge von Schwencz gehenkt, andere Beteiligte mit dem Schwert gerichtet.
Viele Helfer des Kauffungers flüchteten aus Sachsen. Einige wurden später begnadigt.

Bis heute bietet die sensationelle Kindesentführung immer wieder Stoff für neue Legenden. Besonders um die Befreiung des Prinzen Albrecht und die seinem Erretter angeblich und wirklich teilhaftig gewordenen kurfürstlichen Gnadenbeweise ranken sich viele Geschichten.
Der Köhler Georg Schmidt, an den auch das am 8. Juli 1822 am Fürstenberg eingeweihte Denkmal - der Fürstenbrunnen - erinnert, wird noch immer gern als "alleiniger" Prinzenerretter gefeiert.

Chronisten, Pfarrer und Dichter haben sich mit den damaligen Ereignissen beschäftigt. Predigten, Theaterstücke, Lieder und eine Vielzahl Bücher entstanden. Der "Prinzenraub" darf wohl mit Abstand als das bekannteste Ereignis der älteren sächsischen Landesgeschichte angesehen werden.
Die im 16. Jahrhundert einsetzende Legendenbildung - im 17. und 18. Jahrhundert durch die Werke der Herren Triller maßgeblich befördert - hat dazu geführt, dass sich selbst Erfindungen von Komödiendichtern zu "historischen Wahrheiten" auswachsen konnten.
Am Rande angemerkt sei, dass inzwischen auch das moderne "Marketing" genügend Beiträge leistet.

Zahlreiche Orte Sachsens und Thüringens, Böhmens und Frankens stehen in enger Beziehung zu den Ereignissen und Beteiligten.

Eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche

Kunz von Kauffungen, der eigentlich Konrad von Kauffungen hieß, lebte in einer Zeit grundlegender gesellschaftlicher Umbrüche. Die Renaissance löste das Mittelalter ab. Aufstrebende Landesfürsten gewannen zunehmend an Macht gegenüber dem Reich und unterwarfen sich schwächere Territorialherren.
Der Ausbau der wettinischen Landesherrschaft ging für unser Gebiet einher mit dem Zurückdrängen der Machtstellung der Burggrafen, der Herren von Schönburg, der Vögte und der freien Ritterschaft. Erinnert sei an die Machtverluste der Burggrafen von Meißen und Hartenstein und der Burggrafen von Leisnig - beide übrigens Lehnsherren der Herren von Kauffungen; erinnert sei hier auch an die Umwandlung der reichsunmittelbaren Grafschaft Hartenstein in eine sächsische Reichsafterlehnsherrschaft. (Am 14. Februar 1456 entschied Kaiser Friedrich III., der Schwager des sächsischen Kurfürsten, dass die Lehnsreichung für die Grafschaft Hartenstein fortan durch Kursachsen erfolgte. Die Schönburger mussten für ihre Grafschaft die Oberlehnshoheit der Wettiner anerkennen.)

Auf dem Gebiet der Rechtssprechung setzte sich das Römische Recht mehr und mehr gegenüber dem Deutschen Recht durch.
Da eigene Rechtssprechungsbehörden ein wichtiges Mittel zur Festigung und Sicherung der Landesherrschaft sind, hatten Kurfürst Friedrich II. von Sachsen und seine Brüder, die Herzöge Sigismund und Wilhelm III., bereits 1432 den Leipziger Schöffenstuhl privilegiert, fortan die einzige Spruchbehörde für Kursachsen und das Herzogtum Sachsen zu sein.
Beim Magdeburger Schöffenstuhl - bis dahin das bedeutendste juristische Kollegium, und gewissermaßen letzte Instanz - sollte fortan laut kurfürstlichem Befehl keine Rechtsauskunft mehr eingeholt werden.
Auch die Kriegsführung änderte sich im 15. Jahrhundert grundlegend. Lehnsaufgebote, die die Ritter in Kriegszeiten stellten, wurden mehr und mehr durch moderne Söldnerheere ersetzt. Die schwere Niederlage des Ritterheers vor Aussig 1426 wider die Hussiten, bei der viele hiesige Adelsgeschlechter im Mannesstamm ausgelöscht wurden, kann als ein Wendepunkt in der Kriegführung der damaligen Zeit angesehen werden.

Kunz von Kauffungen stand in der Tradition jenes Rittertums, das nun mit dem Ausbau der Landesherrschaft und dem Aufkommen des "modernen Verwaltungsstaates" zunehmend an Bedeutung verlor.
Seine Vorfahren waren im Gefolge der Reichsministerialen ins Land gekommen. Er selbst war mit den bedeutendsten meißnischen Adelshäusern verwandt. So war seine Mutter die Schwester des Bischofs Caspar von Schönberg, des höchsten geistlichen Würdenträgers der Mark Meißen. Seine Gemahlin Elisabeth war eine geborene von Einsiedel. Ihr Bruder war der kurfürstliche Hofmarschall Hildebrand von Einsiedel.
Für seine Zeit und seinen Stand zeichnete Kunz von Kauffungen sich durch eine ungewöhnlich hohe Bildung aus. Gleichzeitig galt er als "erfahrener Kriegsmann" und war ein vortrefflicher Armbrustschütze. Er selbst sah sich als "freier Edelknecht".
Als solcher hatte er ab 1443 dem sächsischen Kurfürsten auf Schloss Altenburg mehrere Jahres lang als Burgvogt treue Dienste geleistet.
Bis 1453 bzw. 1454 gehörten ihm und seinem Bruder Heinrich der Rittersitz Kaufungen an der Mulde; die Belehnung war durch die Burggrafen von Leisnig auf Penig erfolgt.
Ihre Cousins Dietrich und Hans von Kauffungen saßen 1455 auf Callenberg und Wolkenburg.

Im sächsischen Bruderkrieg (1446 bis 1450) hatten Kunz und sein Cousin Hans auf der Seite des Kurfürsten Friedrich gekämpft. Bei der Entsetzung von Gera im Oktober 1450 war Kunz dabei in böhmische Gefangenschaft geraten und hatte, da er kein Lehnsmann des Kurfürsten war, selbst die 4000 Goldgulden Lösegeld aufbringen müssen.
Als er und seine Verwandten dann ihre Kriegsdienste vom Kurfürsten nicht vergolten bekamen, geriet Kunz in wirtschaftliche Bedrängnis.
1453 musste er bei dem Ritter Hans von Maltiz Geld leihen. Er stellte einen Wechsel auf Hof, Vorwerk und das Dorf Kaufungen mit der Mühle unter dem Schloss Wolkenburg aus, den er nicht einlösen konnte.
(Im selben Jahr wurde ihm Schweikershain weggenommen, ohne dass der Kurfürst ihm gegenüber Apel von Vitzthum zu einem Ausgleich verholfen hatte.)
1454 verkaufte dann auch sein Bruder Heinrich seinen Anteil an Kaufungen.
Als "Freier Edel Knecht" wandte Kunz sich nach Böhmen. Seinem Vetter Andreas von Kauffungen gehörte dort das Gut Leutmannsdorf (heute Litvinov). Er selbst erwarb 1453 oder 1454 ganz in der Nähe die Burg Eisenberg (heute Jezeri) und lebte dort mit seiner Frau Elisabeth, seinem Sohn Hildebrand und der Tochter Katharina. Nach Eisenberg sollten auch die entführten Prinzen gebracht werden.
Angemerkt sei, das Litvinov damals Kursachsen unterstand, während Jezeri im Hoheitsbereich der böhmischen Krone lag. (Erst 1459 wurde durch den Vertrag von Eger der Erzgebirgskamm als Grenze zwischen Sachsen und Böhmen vereinbart.)

Das Recht auf Fehde

Bis 1495 erlaubte es das so genannte Fehderecht, dass ein Ritter, der auf dem Rechtsweg sein Recht nicht erlangt hatte, dieses mittels Fehde durchsetzen konnte. Im Rahmen der Fehde konnten Angehörige des Befehdeten oder dieser selbst bis zur gütlichen Beilegung gefangen gesetzt werden. Auch Raub und Brandschatzung waren legitime Mittel. Allerdings musste eine Fehde 3 Tage vorher angesagt werden: durch Übersenden des Fehdebriefes oder des Fehdehandschuhs.
Sonst handelte es sich um Landfriedensbruch und konnte mit der Todesstrafe geahndet werden.
(Erst durch den vom Reichstag zu Worms beschlossenen Ewigen Landfrieden von 1495 wurde Fehde unter Androhung der Reichsacht verboten. Fortan machte sich jeder Fehdeführende des Landfriedensbruchs schuldig)
Kunz von Kauffungens Fehdebrief traf erst nach der Entführung auf dem Altenburger Schloss ein. Formal-juristisch gesehen war damit die Todesstrafe für Kunz von Kauffungen berechtigt.
Beim Betrachten aller Umstände kann man sich freilich des Eindrucks nicht erwehren, dass Friedrich der Sanftmütige mit dem rigorosen Vorgehen gegen die Entführer und die Verwandten des Kauffungers auch ein Exempel am Ritterstand statuierte.

Kunzens Cousin Dietrich von Kauffungen wurde in Altenburg geköpft. Frau und Kinder durften auf Callenberg bleiben. Dort ist die Familie noch bis ins 16. Jahrhundert nachzuweisen.
Hans von Kauffungen, der seinem Bruder Dietrich nach der Entführung auf Schloss Wolkenburg Unterschlupf gewährt hatte, musste seinen Besitz verkaufen und mit seinen Söhnen außer Landes gehen. Er schwor am 7. November 1455 zu Grimma "Urfehde", das heißt, er verzichtete auf Rache sowie auf alle Ansprüche bezüglich noch ausstehender Schulden.

Wie die 12 und 14 Jahre alten Prinzen Albrecht und Ernst die mit ihrer Entführung verbundenen Traumata bewältigten, ist eine offene Frage, die sich damals freilich nicht stellte. Aus ihnen wurden die Stammväter der ernestinischen und albertinischen Wettiner, die über Jahrhunderte maßgeblich die Geschichte Mitteldeutschlands prägten.

Wilhelm von Mosen und Wilhelm von Schönfeld, die nach Böhmen geflüchtet waren, erlangten im Jahre 1465 durch Fürsprache ihrer Freunde die Erlaubnis zur Rückkehr.
Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht, die seit dem Tod ihres Vaters gemeinsam regierten, stellten für "Wilhelm von Mosin und Wilhelm von Schonnefeld" einen Verzeihungsbrief aus, sowohl wegen "der tatt an uns von Contzin von Kauffungen und enn geschehen, und von etzlicher Name (Überfälle) und vorgriffunge".

RECHTSSTREIT MIT EINEM HOHEN HERRN

Mit der schwierigen Aufgabe, die "Irrungen" zwischen dem Kurfürsten und Kunz von Kauffungen durch einen Schiedsspruch beizulegen, waren 1454 betraut worden: der Meißner Dechant und kurfürstliche Kanzler Johann von Haugwitz (Hugewitz), die Ritter Georg von Bebenburg (von Bebimburg), Hans von Maltiz (Maltitz) und Johann von Schleinitz (Slinitz). Sie sollten als Sondergericht über den Fall entscheiden.
Die beiden ersteren waren langjährige vertraute Ratgeber des Kurfürsten, Ritter Hans von Maltiz hatte Kunz Geld geliehen und im Sommer von Kunzens Bruder Heinrich den Rittersitz Kauffungen erworben und Johann von Schleinitz war Kunzens Schwager.
Im so genannten "Anlaß" wurde am 17. Oktober 1454 das Prozedere beurkundet. Von dieser Urkunde wurden zwei gleichlautende Ausfertigungen von den Schiedsrichtern gesiegelt und den streitenden Parteien ausgehändigt.

Beide Parteien, der Kurfürst und Kunz von Kauffungen, hatten ihre Forderungen (Schulden und Schadensersatzansprüche betreffend) und sonstigen Beschwerden schriftlich innerhalb der nächsten 4 Wochen - bis spätestens Donnerstag nach Martini (14. November) - dem Münzmeister Nicol Monhaupt zu Freiberg vorzulegen.
Er sollte Kunzens Klageschrift dem Boten des Kurfürsten und die Klage des Kurfürsten dem Boten des Kauffungers aushändigen.
Beiden Parteien wurde dann noch einmal vier Wochen Zeit gegeben, auf diese Forderungen schriftlich zu antworten.
Ihre Entgegnungen sollten bis 8. Dezember 1454 dem Freiberger Münzmeister zugestellt sein, der sie an die kurfürstliche Kanzlei weiterleiten sollte.
Kanzler Georg von Haugwitz und die anderen "mitscheides-Richter" hatten nun ebenfalls vier Wochen Zeit (bis 9. Januar 1455). Dann sollten sie dem Kurfürsten und Kunz von Kauffungen den Termin für die Bekanntgabe ihres Schiedsspruchs mitteilen.
Diesen Schiedsspruch der vier Herren "sullen beyde teyle ane (ohne) wegerung (Weigerung) volge und gnug thun", und es sollen dann alle Irrungen gütlich gesühnt und gerichtet sein.

Eine begründete verspätete Abgabe der Klagen sollte für keine der Parteien zum Nachteil gereichen: Sollten: "eynteile ader beyde ußlendisch sien, oder sunst durch eehafftige noth (gründliche Ursache) daran verhindert würden, das sulte ieglichen theile an sinen Rechten unschedlich sein".

Die Juristen des Leipziger Schöffenstuhls ignorierten diesen Passus später völlig.
Vielleicht nicht verwunderlich, war doch der Leipziger Ordinarius Ditterich von Buckinsdorff nicht nur Spruchrichter am Schöffenstuhl sondern auch persönlicher Rechtsbeistand des Kurfürsten.
"Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'" - von Buckinsdorff stellte eine reine Formfrage in den Vordergrund: Der Kauffunger habe wegen der verspäteten Abgabe der Klage keinerlei Recht auf irgendwelche Forderungen und Ansprüche an den Kurfürsten.

Kunz von Kauffungens Rechtshandel mit dem Kurfürsten erinnert in vielen Zügen an den späteren Kampf des Kaufmanns Hans Kohlhase (1500-1540), dem Heinrich von Kleist in seiner Erzählung "Michael Kohlhaas" ein literarisches Denkmal setzte.

(Alle Rechte bei der Autorin)