Landfriedensbrecher oder Selbsthelfer, Täter oder Opfer?
In der Nacht vom 7. zum 8. Juli dieses Jahres (nach unserem heutigen Kalender eigentlich erst in der Nacht vom 19. zum 20. Juli) jährt sich zum 550. Mal eines der spektakulärsten Ereignisse der älteren sächsischen Geschichte: die Entführung der Prinzen Ernst und Albrecht aus dem Residenzschloss zu Altenburg durch Junker Kunz von Kauffungen.
Der jahrelange Rechtsstreit des Kunz von Kauffungen mit dem sächsischen Kurfürsten Friedrich II. gipfelte im Sommer 1455 darin, dass der Kauffunger zur Selbsthilfe griff. Er organisierte eine Adelsverschwörung, befehdete den sächsischen Kurfürsten und entführte dessen Söhne, den 12-jährigen Prinzen Albrecht und den 14-jährigen Prinzen Ernst.
Die Pläne der Kindesentführer scheiterten. Bereits am Nachmittag des 8. Juli 1455 wurden Junker Kunz von Kauffungen und seine sechs Begleiter in der Nähe von Grünhain im Erzgebirge - schon nahe der rettendenden böhmischen Grenze - gefangen genommen und Prinz Albrecht befreit.
Die Mitverschworenen von Mosen und von Schönfeld verbargen sich mit Prinz Ernst und ihren beiden Knechten mehrere Tage lang in einem alten Eisenstollen nahe der Burg Stein - der heutigen "Prinzenhöhle" - und übergaben am 11. Juli auf dem Hartensteiner Schloss gegen Zusage freien Geleits den Kurprinz an Friedrich von Schönburg. Anschließend flüchteten sie nach Böhmen.
Kunz von Kauffungen wurde nach Freiberg überstellt, weil das dortige Stadtgericht das Vorrecht besaß, im Fällen von Vergehen gegen den Landesherrn ohne Einholung von Rechtsgutachten sofort urteilen zu dürfen.
Nur sechs Tage nach der Tat wurde er am Montag, dem 14. Juli 1455 auf dem Obermarkt zu Freiberg mit dem Schwert hingerichtet.
Der Küchenknecht Hans Schwalbe, der Kunz von Kauffungen bei der Planung und Ausführung der Tat geholfen hatte, wurde am 28. Juli in Zwickau mit glühenden Zangen gezwickt und danach gevierteilt; Kunzens Reisiger Jorge von Schwencz gehenkt, andere Beteiligte mit dem Schwert gerichtet.
Viele Helfer des Kauffungers flüchteten aus Sachsen. Einige wurden später begnadigt.
Bis heute bietet die sensationelle Kindesentführung immer wieder Stoff für neue Legenden. Besonders um die Befreiung des Prinzen Albrecht und die seinem Erretter angeblich und wirklich teilhaftig gewordenen kurfürstlichen Gnadenbeweise ranken sich viele Geschichten.
Der Köhler Georg Schmidt, an den auch das am 8. Juli 1822 am Fürstenberg eingeweihte Denkmal - der Fürstenbrunnen - erinnert, wird noch immer gern als "alleiniger" Prinzenerretter gefeiert.
Chronisten, Pfarrer und Dichter haben sich mit den damaligen Ereignissen beschäftigt. Predigten, Theaterstücke, Lieder und eine Vielzahl Bücher entstanden. Der "Prinzenraub" darf wohl mit Abstand als das bekannteste Ereignis der älteren sächsischen Landesgeschichte angesehen werden.
Die im 16. Jahrhundert einsetzende Legendenbildung - im 17. und 18. Jahrhundert durch die Werke der Herren Triller maßgeblich befördert - hat dazu geführt, dass sich selbst Erfindungen von Komödiendichtern zu "historischen Wahrheiten" auswachsen konnten.
Am Rande angemerkt sei, dass inzwischen auch das moderne "Marketing" genügend Beiträge leistet.
Zahlreiche Orte Sachsens und Thüringens, Böhmens und Frankens stehen in enger Beziehung zu den Ereignissen und Beteiligten.
Eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche
Kunz von Kauffungen, der eigentlich Konrad von Kauffungen hieß, lebte in einer Zeit grundlegender gesellschaftlicher Umbrüche. Die Renaissance löste das Mittelalter ab. Aufstrebende Landesfürsten gewannen zunehmend an Macht gegenüber dem Reich und unterwarfen sich schwächere Territorialherren.
Der Ausbau der wettinischen Landesherrschaft ging für unser Gebiet einher mit dem Zurückdrängen der Machtstellung der Burggrafen, der Herren von Schönburg, der Vögte und der freien Ritterschaft. Erinnert sei an die Machtverluste der Burggrafen von Meißen und Hartenstein und der Burggrafen von Leisnig - beide übrigens Lehnsherren der Herren von Kauffungen; erinnert sei hier auch an die Umwandlung der reichsunmittelbaren Grafschaft Hartenstein in eine sächsische Reichsafterlehnsherrschaft. (Am 14. Februar 1456 entschied Kaiser Friedrich III., der Schwager des sächsischen Kurfürsten, dass die Lehnsreichung für die Grafschaft Hartenstein fortan durch Kursachsen erfolgte. Die Schönburger mussten für ihre Grafschaft die Oberlehnshoheit der Wettiner anerkennen.)
Auf dem Gebiet der Rechtssprechung setzte sich das Römische Recht mehr und mehr gegenüber dem Deutschen Recht durch.
Da eigene Rechtssprechungsbehörden ein wichtiges Mittel zur Festigung und Sicherung der Landesherrschaft sind, hatten Kurfürst Friedrich II. von Sachsen und seine Brüder, die Herzöge Sigismund und Wilhelm III., bereits 1432 den Leipziger Schöffenstuhl privilegiert, fortan die einzige Spruchbehörde für Kursachsen und das Herzogtum Sachsen zu sein.
Beim Magdeburger Schöffenstuhl - bis dahin das bedeutendste juristische Kollegium, und gewissermaßen letzte Instanz - sollte fortan laut kurfürstlichem Befehl keine Rechtsauskunft mehr eingeholt werden.
Auch die Kriegsführung änderte sich im 15. Jahrhundert grundlegend. Lehnsaufgebote, die die Ritter in Kriegszeiten stellten, wurden mehr und mehr durch moderne Söldnerheere ersetzt. Die schwere Niederlage des Ritterheers vor Aussig 1426 wider die Hussiten, bei der viele hiesige Adelsgeschlechter im Mannesstamm ausgelöscht wurden, kann als ein Wendepunkt in der Kriegführung der damaligen Zeit angesehen werden.
Kunz von Kauffungen stand in der Tradition jenes Rittertums, das nun mit dem Ausbau der Landesherrschaft und dem Aufkommen des "modernen Verwaltungsstaates" zunehmend an Bedeutung verlor.
Seine Vorfahren waren im Gefolge der Reichsministerialen ins Land gekommen. Er selbst war mit den bedeutendsten meißnischen Adelshäusern verwandt. So war seine Mutter die Schwester des Bischofs Caspar von Schönberg, des höchsten geistlichen Würdenträgers der Mark Meißen. Seine Gemahlin Elisabeth war eine geborene von Einsiedel. Ihr Bruder war der kurfürstliche Hofmarschall Hildebrand von Einsiedel.
Für seine Zeit und seinen Stand zeichnete Kunz von Kauffungen sich durch eine ungewöhnlich hohe Bildung aus. Gleichzeitig galt er als "erfahrener Kriegsmann" und war ein vortrefflicher Armbrustschütze. Er selbst sah sich als "freier Edelknecht".
Als solcher hatte er ab 1443 dem sächsischen Kurfürsten auf Schloss Altenburg mehrere Jahres lang als Burgvogt treue Dienste geleistet.
Bis 1453 bzw. 1454 gehörten ihm und seinem Bruder Heinrich der Rittersitz Kaufungen an der Mulde; die Belehnung war durch die Burggrafen von Leisnig auf Penig erfolgt.
Ihre Cousins Dietrich und Hans von Kauffungen saßen 1455 auf Callenberg und Wolkenburg.
Im sächsischen Bruderkrieg (1446 bis 1450) hatten Kunz und sein Cousin Hans auf der Seite des Kurfürsten Friedrich gekämpft. Bei der Entsetzung von Gera im Oktober 1450 war Kunz dabei in böhmische Gefangenschaft geraten und hatte, da er kein Lehnsmann des Kurfürsten war, selbst die 4000 Goldgulden Lösegeld aufbringen müssen.
Als er und seine Verwandten dann ihre Kriegsdienste vom Kurfürsten nicht vergolten bekamen, geriet Kunz in wirtschaftliche Bedrängnis.
1453 musste er bei dem Ritter Hans von Maltiz Geld leihen. Er stellte einen Wechsel auf Hof, Vorwerk und das Dorf Kaufungen mit der Mühle unter dem Schloss Wolkenburg aus, den er nicht einlösen konnte.
(Im selben Jahr wurde ihm Schweikershain weggenommen, ohne dass der Kurfürst ihm gegenüber Apel von Vitzthum zu einem Ausgleich verholfen hatte.)
1454 verkaufte dann auch sein Bruder Heinrich seinen Anteil an Kaufungen.
Als "Freier Edel Knecht" wandte Kunz sich nach Böhmen. Seinem Vetter Andreas von Kauffungen gehörte dort das Gut Leutmannsdorf (heute Litvinov). Er selbst erwarb 1453 oder 1454 ganz in der Nähe die Burg Eisenberg (heute Jezeri) und lebte dort mit seiner Frau Elisabeth, seinem Sohn Hildebrand und der Tochter Katharina. Nach Eisenberg sollten auch die entführten Prinzen gebracht werden.
Angemerkt sei, das Litvinov damals Kursachsen unterstand, während Jezeri im Hoheitsbereich der böhmischen Krone lag. (Erst 1459 wurde durch den Vertrag von Eger der Erzgebirgskamm als Grenze zwischen Sachsen und Böhmen vereinbart.)
RECHTSSTREIT MIT EINEM HOHEN HERRN